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Karl Marks                                             Bad Windsheim Halkevi Kültür Merkezi Ýnternet Sayfasý
      DER MENSCHLICHEN BEDÜRFNISSE UND ENTFREMDUNG

      Wir haben gesehen, welche Bedeutung unter der Voraussetzung des Sozialismus die Reichheit der menschlichen Bedürfnisse und daher sowohl eine neue Weise der Produktion als auch ein neuer Gegenstan d der Produktion hat. Neue Bestätigung der menschlichen Wesenskraft und neue Bereicherung des menschlichen Wesens. innerhalb des (Seite 83) Privateigentums die umgekehrte Bedeutung. jeder Mensch spekuliert darauf, dem andern ein neues Bedürfnis zu schaffen, um ihn zu einem neuen Opfer zu zwingen, um ihn in eine neue Abhängigkeit zu versetzen und ihn zu einer neuen Weise des Genusses und damit des ökonomischen Ruins zu verleiten. jeder sucht eine fremde Wesenskraft über den andern zu schaffen, um darin die Befriedigung seines eigenen eigennützigen Bedürfnisses zu finden. Mit der Masse der Gegenstände wächst daher das Reich der fremden Wesen, denen der Mensch unterjocht ist, und jedes neue Produkt ist eine neue Potenz des wechselseitigen Betrugs und der wechselseitigen Ausplünderung. Der Mensch wird um so ärmer als Mensch, er bedarf um so mehr des Geldes, um sich des feindlichen Wesens zu bemächtigen, und die Macht seines Geldes fällt gerade im umgekehrten Verhältnis als die Masse der Produktion, d.h., seine Bedürftigkeit wächst, wie die Macht des Geldes zunimmt. — Das Bedürfnis des Geldes ist daher das wahre, von der Nationalökonomie produzierte ' Bedürfnis und das einzige Bedürfnis, das sie produziert. — Die Quantität des Geldes wird immer mehr seine einzige mächtige Eigenschaft; wie es alles Wesen auf seine Abstraktion reduziert, so reduziert es sich in seiner eigenen Bewegung als quantitatives Wesen. Die Maßlosigkeit und Unmäßigkeit wird sein wahres Maß.
      — Subjektiv selbst erscheint dies so, teils daß die Ausdehnung der Produkte und der Bedürfnisse zum erfinderischen und stets kalkulierenden Sklaven unmenschlicher, raffinierter, unnatürlicher wahres eingebildeter gelüste wird — das Privateigentum weiß das rohe Bedürfnis nicht zum menschlichen Bedürfnis zu machen; sein Idealismus ist die Einbildung, die Willkür, die Laune, und ein Eunuche schmeichelt nicht niederträchtiger seinem Despoten und sucht durch keine infameren Mittel seine abgestumpfte Genußfähigkeit zu irritieren, um sich selbst eine Gunst zu erschleichen, wie der Industrieeunuche, der Produzent, um sich Silberpfennige zu erschleichen, aus der Tasche des christlich geliebten Nachbarn die Goldvögel herauszulokken — (jedes Produkt ist ein Köder, womit man das Wesen des andern, sein Geld, an sich locken will, jedes wirkliche oder mögliche Bedürfnis ist eine Schwachheit, die die Fliege an die Leimstange heranführen wird — allgemeine Ausbeutung des gemeinschaftlichen menschlichen Wesens, wie jede Unvollkommenheit des Menschen ein Band mit dem Himmel ist, eine Seite, wo sein Herz dem Priester zugänglich; jede Not ist eine Gelegenheit, um unter dem liebenswürdigsten Schein zum Nachbarn zu treten und ihm zu sagen: Lieber Freund, ich gebe dir, was dir nötig ist; aber du kennst die conditio sine qua non; du weißt, mit welcher Tinte du dich mir zu verschreiben hast; ich prelle dich, indem ich dir einen Genuß verschaffe) —, sich seinen verworfensten Einfällen fügt, den Kuppler zwischen ihm und seinem Bedürfnis spielt, krankhafte Gelüste in ihm erregt, jede Schwachheit ihm ablauert, um dann das Handgeld für diesen Liebesdienst zu verlangen.
      — Teils zeigt sich diese Entfremdung, indem die Raffinierung der Bedürfnisse und ihrer Mittel auf der einen Seite die viehische Verwilderung, vollständige, rohe, abstrakte Einfachheit des Bedürfnisses auf der anderen Seite produziert; oder vielmehr nur sich selbst in seiner gegenteiligen Bedeutung wiedergebiert. Selbst das Bedürfnis der freien Luft hört bei dem Arbeiter auf, ein Bedürfnis zu sein, der Mensch kehrt in die Höhlenwohnung zurück, die aber nun von dem mephytischen Pesthauch der Zivilisation verpestet ist und die er nur mehr prekär, als eine fremde Macht, die sich ihm täglich entziehn, aus der er täglich, wenn er nicht zahlt, herausgeworfen werden kann, bewohnt. Dies Totenhaus muß er bezahlen. Die Lichtwohnung, welche Prometheus bei Aeschylus als eines der großen Geschenke, wodurch er den Wilden zum Menschen gemacht, bezeichnet, hört auf, für den Arbeiter zu sein. Licht, Luft etc., die einfachste tierische Reinlichkeit hört auf, ein Bedürfnis für den Menschen zu sein. Der Schmutz, diese Versumpfung, Verfaulung des Menschen, der Gossenablauf (dies ist wörtlich zu verstehn) der Zivilisation wird ihm ein Lebenselement. Die völlige unnatürliche Verwahrlosung, die verfaulte Natur, wird zu seinem Lebenselement. Keiner seiner Sinne existiert mehr, nicht nur nicht in seiner menschlichen Weise, sondern in einer unmenschlichen, darum selbst nicht einmal tierischen Weise. Die rohsten Weisen (und Instrumente) der menschlichen Arbeit kehren wieder, wie die Tretmühle der römischen Sklaven zur Produktionsweise, Daseinsweise vieler englischen Arbeiter geworden ist. Nicht nur, daß der Mensch keine menschlichen Bedürfnisse hat, selbst die tierischen Bedürfnisse hören auf. Der Irländer kennt nur mehr das Bedürfnis des Essens und zwar nur mehr des Kartoffelessens und zwar nur der Lumpenkartoffel, der schlechtesten Art von Kartoffel. Aber England und Frankreich haben schon in jeder Industriestadt ein kleines Irland. Der Wilde, das Tier hat doch das Bedürfnis der Jagd, der Bewegung etc., der Geselligkeit. — Die Vereinfachung der Maschine, der Arbeit wird dazu benutzt, um den erst werdenden Menschen, den ganz unausgebildeten Menschen — das Kind — zum Arbeiter zu machen, wie der Arbeiter ein verwahrlostes Kind geworden ist. Die Maschine bequemt sich der Schwäche des Menschen, um den schwachen Menschen zur Maschine zu machen.
      Wie die Vermehrung der Bedürfnisse und ihrer Mittel die Bedürfnislosigkeit und die Mittellosigkeit erzeugt, beweist der Nationalökonom (und der Kapitalist, Oberhaupt reden wir immer von den empirischen (Seite 85) Geschäftsleuten, wenn wir uns an die Nationalökonomen — ihr wissenschaftliches Geständnis und Dasein — adressieren), 1. indem er das Bedürfnis des Arbeiters auf den notwendigsten und jämmerlichsten Unterhalt des physischen Lebens und seine Tätigkeit auf die abstrakteste mechanische Bewegung reduziert, also, sagt er: Der Mensch hat kein anderes Bedürfnis weder der Tätigkeit noch des Genusses; denn auch dies Leben erklärt er als menschliches Leben und Dasein; indem 2. er das möglichst dürftige Leben (Existenz) als Maßstab, und zwar als allgemeinen Maßstab ausrechnet: allgemein, weil für die Masse der Menschen geltend; er macht den Arbeiter zu einem unsinnlichen und bedürfnislosen Wesen, wie er seine Tätigkeit zu einer reinen Abstraktion von aller Tätigkeit macht; jeder Luxus des Arbeiters erscheint ihm daher als verwerflich, und alles, was über das allerabstrakteste Bedürfnis hinausgeht — sei es als passiver Genuß oder Tätigkeitsäußerung — erscheint ihm als Luxus. Die Nationalökonomie, diese Wissenschaft des Reichtums, ' ist daher zugleich die Wissenschaft des Entsagens, des Darbens, der Ersparung, und sie kommt wirklich dazu, dem Menschen sogar das Bedürfnis einer reinen Luft oder der physischen Bewegung zu ersparen. Diese Wissenschaft der wunderbaren Industrie ist zugleich die Wissenschaft der Askese, und ihr wahres Ideal ist der asketische, aber wuchernde Geizhals und der asketische, aber produzierende Sklave. Ihr moralisches Ideal ist der Arbeiter, der in die Sparkasse einen Teil seines salaire bringt, und sie hat für diesen ihren Lieblingseinfall sogar eine knechtische Kunst vorgefunden. Man hat das sentimental aufs Theater gebracht. Sie ist daher — trotz ihres weltlichen und wollüstigen Aussehens — eine wirklich moralische Wissenschaft, die allermoralischste Wissenschaft. Die Selbstentsagung, die Entsagung des Lebens und aller menschlichen Bedürfnisse, ist ihr Hauptlehrsatz. Je weniger du ißt, trinkst, Bücher kaufst, in das Theater, auf den Ball, zum Wirtshaus gehst, denkst, liebst, theoretisierst, singst, malst, fichtst etc., um so mehr sparst du, um so größer wird dein Schatz, den weder Motten noch Raub fressen, dein Kapital. Je weniger du bist, je weniger du dein Leben äußerst, um so mehr hast du, um so größer ist dein entäußertes Leben, um so mehr speicherst du auf von deinem entfremdeten Wesen. Alles, was dir der Nationalökonom an Leben nimmt und an Menschheit, das alles ersetzt er dir in Geld und Reichtum, und alles das, was du nicht kannst, das kann dein Geld: Es kann essen, trinken, auf den Ball, ins Theater gehen, es weiß sich die Kunst, die Gelehrsamkeit, die historischen Seltenheiten, die politische Macht, es kann reisen, es kann dir das alles aneignen; es kann das alles kaufen; es ist das wahre Vermögen. Aber es, was all dies ist, es mag nichts als sich selbst schaffen, sich selbst kaufen, denn (Seite 86) alles andere ist ja sein Knecht, und wenn ich den Herrn habe, habe ich den Knecht und brauche ich seinen Knecht nicht. Alle Leidenschaften und alle Tätigkeit muß also untergehen in der Habsucht. Der Arbeiter darf nur soviel haben, daß er leben will, und darf nur leben wollen, um zu haben. [. . .]

Karl Marx, Ökonomisch philosophische Manuskripte (1844)